Sicht- und Hörbarmachung der verschiedensten Communities im Stadtbild
Ausgangslage
Edgar Salin definierte Urbanität 1960 als „Manifestation einer spezifisch städtischen Qualität der politischen Partizipation und der kulturellen Offenheit und Toleranz“. StädtebauerInnen und StadtplanerInnen glaubten in der Folge, dass dies durch eine „Urbanität der Dichte“ zu erreichen sei. Es folgten genau durchkonzeptionierte Erlebniswelten in multifunktionalen Einkaufs- und Freizeitkomplexen. Diesem Konzept wird auch in Innsbruck nach wie vor gehuldigt. Ein Platz nach dem anderen wird umgestaltet, es werden Einkaufserlebniswelten geschaffen wie die Rathausgalerien, das Kaufhaus Tirol und nicht zuletzt kann ein fünftes Gymnasium nur gebaut werden, wenn im gleichen Gebäude auch ein Einkaufszentrum untergebracht ist. Im Namen der Belebung der Stadt werden Plätze und ganze Straßen privatisiert, aber „Alles wird Gut“ (so der Name des ArchitektInnen-Teams die momentan die Maria Theresien Straße „zur zentralen Erlebnis und Einkaufsstraße“ umgestalten). Gebaut wird nur noch von internationalen StararchitektInnen und es hat den Anschein, dass nur gebaut werden darf, was sich zur TouristInnenattraktion eignet. Diese Konzepte simulieren jedoch lediglich den urbanen Alltag. Sie bringen zwar reichlich Umsätze, vermeiden aber alle Gegensätze und Reibungen. Die Orte wo sich noch etwas reiben könnte, wo die Urbanität von Innsbruck im Sinne von Salin auftauchen oder sich entwickeln könnte, werden mit Aufenthaltsverboten, Alkoholverboten, Bettelverboten belegt, viedeomäßig überwacht und mit einer endlos verlängerten „Aktion scharf“ gesäubert. Wenn es nur noch darum geht TouristInnenströme möglichst reibungslos und umsatzbringend durch die Stadt gleiten zu lassen hat Diversität keinen Platz.
Warum brauchen wir „Raumnahme“?
In Innsbruck leben 26.000 Menschen mit mirgantem Hintergrund, die aus 147 Nationen stammen. Sie bereichern das Leben von 113.000 sogenannten Einheimischen. Doch ist diese ungeheure Vielfalt an Sprachen, Kulturen und sozialen Hintergründen im Stadtbild weder sichtbar noch wird sie in der sozialen, kulturellen und politischen Realität von Innsbruck gespiegelt. Sie bleiben unsichtbar, ob sie wollen oder nicht.
Freie Radios, wie FREIRAD 105.9 versuchen dem entgegen zu wirken, indem sie diesen Communities die Möglichkeit geben sichtbar, zumindest hörbar zu werden. Zur Zeit nutzen schon Menschen aus 14 Nationen die Möglichkleiten von FREIRAD 105.9, um ihre Communities und alle anderen HörerInnen entweder in ihrer Sprache oder mehrsprachig über ihre Kultur, ihre Meinungen und über Möglichkeiten der Partizipation zu informieren.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist das Medium Radio nach wie vor das Kommunikationsmittel mit dem die meisten Menschen erreicht werden: 80 % der Menschen in Österreich hören täglich Radio. Doch weder der öffentlich rechtliche Rundfunk noch die privat kommerziellen VeranstalterInnen bilden die Bevölkerung ab, wie sie sich darstellt. Programm gemacht wird lediglich für einen Teil der Bevölkerung, jener, der für die Werbewirtschaft interessant ist.
FREIRAD 105.9 versucht diese Logik zu durchbrechen. Wir bieten Platz für genau jene Themen und Meinungen, die in anderen Medien schlichtweg nicht vorkommen. Dabei arbeiten Freie Radios nicht nur in eine Richtung, sondern sie machen HörerInnen selbst zu RadiomacherInnen. Menschen, die Freie Radios nutzen, erhalten so nicht nur Informationen oder Unterhaltung, sondern sie treten in einen Dialog mit den RadiomacherInnen und ZuhörerInnen. Darin liegt eine wesentliche Stärke von Freien Radios: sie bieten einen Raum, in dem Community Building möglich wird.
Mit dem Projekt „Raumnahme“ will FREIRAD 105.9 nun aktiv auf Comunities in Innsbruck zugehen, die im Stadtbild ausgespart, vertrieben und unerwünscht sind, und mit ihnen gemeinsam Voraussetzungen schaffen, die es ihnen ermöglicht FREIRAD 105.9 als ihr Medium zu nutzen, sich über das Medium Radio auszutauschen und zu vernetzen.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass es vielen wenig oder gar nicht organisierten Menschen nur schwer möglich ist, FREIRAD 105.9 als ihr Medium zu nutzen. Dafür braucht es ein Mehr an Unterstützung, sowie Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Anderen.
FREIRAD 105.9 ist das einzige Medium in Tirol, das die sprachliche, kulturelle und soziale Vielfalt in Innsbruck abbildet. FREIRAD 105.9 fungiert aber nicht nur als Sprachrohr der einzelen Gruppen sondern ist vor allem ein Ort sich auszutauschen und Netzwerke über die Grenzen Tirols hinweg aufzubauen. „Freies Radio ist zu 80 % Vernetzungsarbeit und dann gibt es da irgendwo auch immer noch ein Radioprogramm“, heißt es immer wieder.
Projektteile
Kontaktaufnahme
FREIRAD 105.9 sucht den Kontakt zu den Communities. Dabei hilft uns unser derzeitiges Netzwerk. Wir werden mit Einrichtungen kooperieren, die bereits erfolgreich Kontakt mit den verschiedensten Communities aufgebaut haben ( z.B. Welthaus, Südwind, FLUCHTpunkt, Caritas Integrationshaus, Flüchtlingsheim Reichenau, Frauen aus allen Ländern, Ankyra, Französisches Kulturinstitut, Salsa Libre oder den OrganisatorInnen des Afrikatages). Bei der Kontaktaufnahme wird es darum gehen, die Möglichkeiten von FREIRAD 105.9 darzustellen und gemeinsam zu erarbeiten wie ein niederschwelliger Zugang für die jeweiligen Communities erreicht werden kann.
Sendereihe – „Raumnahme“
In einer Sendereihe soll der Politik der Vertreibung etwas entgegengesetzt werden. ExpertInnen werden zu Wort kommen, die Folgen einer immer restriktiver werdenden Stadtentwicklung aufzeigen, aber auch Alternativen und best practice Modelle zur Sprache bringen.
Damit sollen einerseits die HörerInnen für die Probleme sensibilisiert werden und andere Ansätze kennenlernen, gleichzeitig wollen wir die verschiedenen Communities dazu ermutigen selbst öffentlich zu werden und am Geschehen in Innsbruck zu partizipieren, und eine aktive Gegenöffentlichkeit zur herrschenden Politik herzustellen.
Seminare
Ein Hauptaspekt des Projektes wird die Ausbildung von möglichst vielen Personen der Communities zu RadiomacherInnen sein. Die Seminare müssen in vielen Fällen direkt auf die Communities zugeschnitten werden und den Bedürfnissen und den Möglichkeiten der TeilnehmerInnen entsprechen. Dabei muss auch auf die sprachlichen Unterschiede der Communities eingegangen werden. Die Seminare können nicht nur auf Deutsch, sondern müssen zum Teil zweisprachig oder mittels DolmetscherInnen abgehalten werden.
Darin hat FREIRAD 105.9 jahrelange Erfahrung. Ziel der Seminare ist nicht nur die Ausbildung zu RadiomacherInnen, sondern auch ein Einblick in die Funktionsweise von Medien, und vor allem das selfempowerment diese dann unabhängig und selbstständig nutzen zu können. Es geht darum, sich selbst Öffentlichkeit zu verschaffen, Gegenöffentlichkeiten herzustellen, am gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und sozialen Leben zu partizipieren und eigene Netzwerke aufzubauen.
Regelmäßige Radiosendungen
Das Projekt soll dazu führen, dass Communities, die bislang im öffentlichen Leben der Stadt nicht vorkommen, mittels selbstgestalteten Radiosendungen an die Öffentlichkeit treten. Dieser Projektteil sieht die Einbindung von neuen Radiomagazinen ins laufende Programm vor. Ziel ist es, den Communities eine dauernde mediale Präsenz zu ermöglichen. Die Sendungen sollen sich sowohl an die eigenen Communities richten, als auch als Plattform dienen, die es ermöglicht mit allen HörerInnen in Kontakt zu treten und sich auszutauschen. Damit werden auf der einen Seite Berührungsängste der Innsbrucker HörerInnen abgebaut und gleichzeitig durch die Ausstrahlung der unterschiedlichsten Sprachen Hörgewohnheiten aufgebrochen und erweitert.
In ihren Inhalten können sich die Communities mit den für sie wichtigen Themen präsentieren: ob Kultur, Politik oder Musik hier sind der Kreativität der neuen RadiomacherInnen keine Grenzen gesetzt.
Somit leistet das Projekt „Raumnahme“ nicht nur einen wichtigen Beitrag, Innsbruck als vielfältige soziale Landschaft, in all ihren unterschiedlichen Ausprägungen, darzustellen, sondern ermöglicht den RadiomacherInnen, aktiv in das Geschehen in der Stadt einzugreifen. Gleichzeitig sollen die Sendungen dazu beitragen die einzelnen Communities zu stärken, und über das Medium Radio die eigenen Netzwerke zu erweitern. Dies ist durch das Cultural Broadcastin Archive – CBA, das Sendungsarchiv der Freien Radios in Österreich, auch überregional möglich.